Interview mit Irene Schulz, Leipziger Volkszeitung

"Werkverträge spalten Belegschaften in unterschiedliche Klassen"

14.09.2015 | Immer mehr Betriebe der Automobilindustrie lagern Arbeit über Werkverträge aus und sparen so Kosten. Der Sozialreport - Automobilcluster Leipzig, den die IG Metall heute veröffentlicht, beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf Arbeitnehmer. Neben geringerem Einkommen und weniger Urlaub beklagen viele die fehlende Anerkennung und den Mangel an Respekt, kritisiert Irene Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft.

Die IG Metall macht bundesweit mobil gegen Werkverträge. Was stört Sie an Werkverträgen - das Lohndumping oder der bislang fehlende gewerkschaftliche Einfluss in diesen Firmen?
Die IG Metall ist nicht grundsätzlich gegen Werkverträge. Der Dachdecker, der das Hallendach erneuert, ist hier nicht gemeint. Es geht um die auf Lohndumping aufbauende Auslagerung von Entwicklung, Logistik, Instandhaltung.
Damit werden die Belegschaften in Beschäftigte unterschiedlicher Klassen gespalten. Diesen Missbrauch einzudämmen haben wir uns zum Ziel gesetzt.

Gehen die Forderungen der Gewerkschaft so weit, dass man generell das Outsourcing von Kerntätigkeiten der Autoindustrie in Frage stellt?
Unsere aktuelle Umfrage unter Betriebsräten hat ergeben, dass immer mehr Unternehmen Werkverträge vergeben. Die IG Metall kritisiert nicht die sinnvolle Arbeitsteilung von Produzent und Zulieferer. Sorge bereitet uns allerdings
der mögliche Know-How-Verlust in den Stammbetrieben. Dazu kommt, dass die eingesetzten Werkvertragsunternehmen meist nicht tarifgebunden sind. Werkverträge dürfen die tariflichen Standards nicht untergraben.

Was genau bedeutet das für die Beschäftigten in Werkvertragsunternehmen?
Wir haben die Beschäftigten bei Zulieferern und Dienstleistern der Leipziger Automobilindustrie gefragt. Sie gaben an, dass sie bei Geld und Urlaub hohe Einbußen hinnehmen und zudem oft kurzfristig angeordnete Mehrarbeit leisten
müssen. Hinzu kommen die fehlende Anerkennung, der Mangel an Respekt, unzureichender Gesundheitsschutz und die Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses.

Der Automobilstandort Leipzig gilt als einer der dynamischsten in Deutschland. Nirgends ist die Auslagerung von Produktion so weit fortgeschritten wie hier. Beunruhigt Sie das?
Zunächst freut uns die Dynamik in Leipzig. Hier sind in den letzten Jahren viele Arbeitsplätze entstanden und auch BMW und Porsche haben Einstellungen vorgenommen. Der hohen Anzahl an Werkvertragsfirmen auf dem Werksgelände haben wir Initiativen zur Betriebsratsgründung und Tarifbindung entgegengesetzt. In Zusammenarbeit mit den Betriebsräten von BMW und Porsche haben wir die Beschäftigten aus zahlreichen Werkvertragsunternehmen darin unterstützt, im Rahmen der Mitbestimmung ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Es heißt, die IG Metall hat vor Ort schon viel erreicht, um beispielsweise das Lohngefälle zwischen der Stammbelegschaft in Autounternehmen und bei Zulieferern zu verringern. Sind Sie zufrieden?
Ja, wir haben hier wichtige Erfolge erzielt. In den letzten zwei Jahren sind rund 900 Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen Mitglieder der IG Metall geworden und haben sich für eine starke Interessenvertretung im Betrieb entschieden. Damit stärken sie auch die neu gewählten Betriebsräte in sieben Werkvertragsunternehmen, um sich täglich für mehr Mitbestimmung einzusetzen. Wir haben mit gut organisierten Belegschaften Tarifverträge durchgesetzt. Ein Großteil der Beschäftigten bekommt jetzt monatlich mehr Geld aufs Konto und arbeitet unter verbesserten Arbeitsbedingungen. Trotzdem fehlt es immer noch an einem angemessenen gesetzlichen Rahmen. Betriebsräte brauchen mehr Informations- und Mitwirkungsrechte. Deshalb werden wir am 24. September mit sichtbaren Aktionen und Kundgebungen an vielen Standortender deutschen Automobilindustrie weiter Druck machen. Auch hier in Leipzig.

Das Gespräch führte Andreas Dunte.
Das Interview ist am 11.09.2015 in der Leipziger Volkszeitung erschienen

Von: bg

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