Neue Studie

Transformation in der Automobilindustrie: Beschäftigtenperspektiven aus fünf Bundesländern

10.03.2020 | Die Zuversicht in den Wechsel zur E-Mobilität hat unter den Beschäftigten der Automobilindustrie in Berlin, Brandenburg und Sachsen in jüngster Zeit zugenommen. Neue Produktzusagen und Investitionen in die Branche haben die Zukunftsängste der Kolleginnen und Kollegen gemildert. Gleichzeitig begegnen die Beschäftigten der Transformation insgesamt aber nach wie vor skeptisch, wie eine neue Studie zeigt, die gerade erschienen ist.

Die neue Studie – gefördert von der Stiftung Neue Länder (in der Otto Brenner Stiftung) – hat die Beschäftigungsperspektiven in den betroffenen Betrieben aus der Automobilindustrie und deren Standort-Regionen in den Blick genommen. Im Zeitraum von Oktober 2018 bis Mai 2019 wurden 72 Experten aus 23 Betrieben (mit insgesamt 33.643 Beschäftigten) und 12 weiteren Institutionen zu Transformationsherausforderungen befragt: Wie bewerten sie die Zukunfts-Risiken und wie ist die Stimmung in den Belegschaften? Und: Betrachten sie die laufende Transformation als Chance für die Autoindustrie in Berlin, Brandenburg und Sachsen?

Die wichtigsten Ergebnisse:

Die Transformation hat bereits begonnen: Die Situation in den Betrieben der wichtigen Auto-Regionen in Sachsen (Chemnitz, Dresden, Leipzig, Zwickau/Mosel) und in Brandenburg unterscheidet sich nur wenig von den allgemeinen Umbrüchen in der deutschen Automobilindustrie.

Ende des Beschäftigungsbooms: Beschäftigungsabbau, Ankündigungen hinsichtlich vereinzelter Standortschließungen und Insolvenzen betreffen seit Herbst 2017 im besonderen Maße Standorte im Südwesten Deutschlands. Aber auch im Bezirk findet seit Ende 2018 die positive Beschäftigungsentwicklung der letzten zehn Jahre ein Ende. Die Mehrheit der Beschäftigten in den Betrieben erwartet aber mit nur wenigen Ausnahmen im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt weniger harte Beschäftigungsrückgänge.

Aufbau eines Elektromobilitätsclusters Sachsen: Wichtige Investitionsentscheidungen von OEMs (Original Equipment Manufacturer) der Jahre 2013 und 2017 haben Sachsen zur Pilotregion eines Elektroauto-Clusters gemacht. Bundesweit liefen die ersten batterieelektrischen Fahrzeuge in Leipzig vom Band, in Mosel/Zwickau wird ein Standort zur ersten völlig auf Elektroautos umgestellten Fabrik aufgebaut. Die Zuversicht in den Wechsel in die Elektromobilität hat bis August 2019 zugenommen.

Digitalisierung löst Automatisierungsängste aus: Der Modernisierungsgrad der Maschinen und Anlagen bei den OEMs und in vielen großen Zulieferbetrieben ist hoch. Entlang der Wertschöpfungskette zeigen sich aber erhebliche Lücken, denn bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) besteht erheblicher Investitionsnachholbedarf, was Produkt- und Prozessinnovationen betrifft. Mit Digitalisierung wird in erster Linie Automatisierung mit mehr Robotereinsatz verbunden. Risiken werden überbetont. Oftmals fehlen gezielte Qualifizierungsangebote und Personalentwicklungskonzepte, die die Chancen der Digitalisierung aufgreifen.

Mobilitätsservices als neues Geschäftsfeld ist wenig verbreitet und auf wenige Standorte konzentriert: Innovationslabs und Start-ups im Bereich neuer Mobilitätsdienstleistungen sowie neue Mobilitätsforschungsinstitute konzentrieren sich auf Dresden, Chemnitz und Berlin. Beschäftigungswirkungen fallen bisher gering aus und erfordern oft neue Formen der Mitbestimmung.

Erschwerte Konversion aufgrund unfairer Arbeitsbedingungen: Was Arbeitszeit- und Tarifangleichung betrifft, besteht die Mauer auch noch im 30. Nachwendejahr. Das wirkt negativ auf eine aktive Beteiligung und Gestaltung der Transformationsprozesse. Besonders die Nichtverlängerung von Befristungen und Leiharbeit, Schichtreduzierungen, Kurzarbeit etc. sind im Herbst 2019 auch im Bezirk Realität. Und diese bestimmen – trotz räumlich-partiellen Facharbeiter-/innen-Mangels – die De-Industrialisierungsängste und Ungleichheitsempfindungen gegenüber dem Westen ganz entscheidend.

„Nach zehn Jahren Auto-Boom und im 30. Jahr der Deutschen Einheit schreitet der Transformationsprozess schnell voran“, sagte Stefan Schaumburg, IG Metall-Bezirksleiter. „Die Studie zeigt, dass wir mit unserem „Moratorium für fairen Wandel“ in der Tarifrunde am Puls der Zeit sind. Gemeinsam mit den Beschäftigten und den Arbeitgebern wollen wir die Zukunft gestalten. Dabei hat die Angleichung der Arbeitszeit in unserem Bezirk höchste Priorität.“

Hintergrund:
Die Automobilindustrie ist zu einem entscheidenden Wachstumsträger in Ostdeutschland geworden. Im Autoland Sachsen sind etwa 95.000 Menschen in der Automobilindustrie beschäftigt, in Berlin-Brandenburg arbeiten rund 22.000 Kolleginnen und Kollegen in der Branche.

Sachsen gehört mit fünf Fahrzeug- und Motorenwerken von Volkswagen, BMW und Porsche sowie rund 780 Zulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern zu den wichtigsten deutschen Standorten im Kraftfahrzeugbau. Etwa jeder achte in Deutschland gebaute Pkw kommt aus Sachsen. Im Jahr 2017 wurden knapp 700.000 Fahrzeuge von VW, Porsche und BMW in Leipzig, Zwickau und Dresden gebaut. Die 95.000 Beschäftigten, davon mehr als 80 Prozent in der Zulieferindustrie, erbringen mehr als ein Viertel der sächsischen Industrieproduktion.

In Berlin und Brandenburg gibt es eine lange Tradition, Kraftfahrzeuge, Komponenten und Motoren zu bauen. Das Spektrum der Firmen ist groß. Firmen wie BMW oder Mercedes-Benz sind ebenso ansässig wie Global Player der Zulieferindustrie sowie eine Vielzahl Mittelständler. Die großen Automobilhersteller sind in der Hauptstadtregion außerdem mit einer Vielzahl an neuen Geschäftsfeldern vertreten, zum Beispiel im Bereich der Mobilitäts-Dienstleistungen. Das Umsatzpotenzial von sogenannten Mobility-as-a-Service-Angeboten steigt Schätzungen zufolge von 2 Prozent im Jahr 2017 auf etwa 22 Prozent im Jahr 2022.

Hier gibt es die Studie zum Download.

Von: kk

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