Rente

Rente mit 70? Nicht mit der IG Metall – aus gutem Grund!

08.08.2022 | Rente mit 70 Jahren oder sogar noch später? Das Renteneintrittsalter sorgt – nicht erst seit sich Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf für die Rente mit 70 stark gemacht hat – für Schlagzeilen. Immer wieder preschen Arbeitgeber, Ökonomen oder manche Politiker mit dieser Forderung vor. Mit der Lebensrealität der Beschäftigten hat das wenig zu tun. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt ein höheres Eintrittsalter ebenso eindeutig ab wie die IG Metall. Aus gutem Grund.

Die Kolleginnen und Kollegen der Außerbetrieblichen Gewerkschaftsarbeit (AGA) im Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen machen sich stark für eine gute Rente. Foto: IG Metall

„Wir sagen nein zur Rente mit 70 oder 68“, sagt Iris Billich, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall im Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen und zuständig für die Themen 55plus sowie Seniorenarbeit. „Auch die Rente mit 66 oder 67 lehnen wir ab, denn für die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen ist bereits das aktuelle Renteneintrittsalter von 67 Jahren nicht erreichbar.“

Der überwiegende Teil der Beschäftigten geht nicht davon aus, ihre derzeitige Tätigkeit unter aktuellen Arbeitsbedingungen bis zum Alter von 67 ausüben zu können. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das Berliner Kantar-Institut im Auftrag der IG Metall durchgeführt hat. Aber wer es nicht bis zur regulären Altersgrenze schafft, muss Rentenabschläge hinnehmen. Körperlich hart arbeitende Menschen werden durch ein immer höheres Rentenalter doppelt bestraft: durch Gesundheitsschäden und gekürzte Renten. Ein noch höheres Rentenalter bedeutet für die meisten Menschen folglich nur hohe Abschläge und eine entsprechend geringe Rente.

Zunehmende Leistungsverdichtung
Zudem steigt die Leistungsverdichtung der Menschen stetig. Viele Kolleginnen und Kollegen müssen, weil Fachkräfte fehlen oder Arbeitsplätze abgebaut werden, immer mehr Arbeit übernehmen, die Pause zwischen Arbeit und Freizeit reicht kaum noch zur Regeneration aus. Dazu bestimmen Krankheiten – aktuell nach wie vor sehr viele Coronainfektionen – den Alltag der Menschen. „Vor dem Hintergrund dieser Fakten von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu sprechen ist absurd“, sagt Iris Billich. In ihren IG Metall-Seminaren berichten Kolleginnen und Kollegen immer wieder und derzeit so häufig wie nie zuvor darüber, dass mit zunehmendem Alter die Kräfte nachlassen.

„Dass Arbeitgebervertreter die Rente mit 70 fordern, ist keine Neuigkeit“, sagt Hans-Jürgen Urban, im IG Metall-Vorstand zuständig für Sozialpolitik. „Neu wäre, wenn sie die Arbeitsbedingungen so verbesserten, dass mehr Beschäftigte gesund die Regelaltersgrenze erreichten. Hier ist viel Luft nach oben.“

Betriebe sind nicht vorbereitet
Doch selbst wenn Beschäftigte länger arbeiten könnten: Nur die Hälfte (51 Prozent) der befragten Beschäftigten zwischen 50 und 64 Jahren sieht den eigenen Betrieb ausreichend vorbereitet auf älter werdende Belegschaften. Gezielte Weiterbildungsangebote gibt es viel zu selten. Die Realität in den Betrieben ist eine andere: Viele Unternehmen wollen ältere Beschäftigte eher loswerden als ihnen eine altersgerechte Tätigkeit zu ermöglichen.

Erwerbslosigkeit im Alter dauert besonders lang
Außerdem ist keine Altersgruppe so stark von Langzeiterwerbslosigkeit betroffen wie die Gruppe der Menschen ab 55. Fast die Hälfte der Erwerbslosen (47 Prozent) in diesem Alter ist bereit langzeiterwerbslos. Die Chancen auf eine Rückkehr in reguläre Beschäftigung sind viel schlechter als bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Dadurch werden jahrzehntelange Erwerbsbiografien auf den letzten Metern entwertet. Denn: Nur für die Dauer des Arbeitslosengeld I-Bezugs werden Rentenbeiträge gezahlt. Längere Erwerbslosigkeit macht sich bei der Rente massiv bemerkbar. Ein noch höheres Rentenalter verschärft diese Risiken.

Zahl der Erwerbslosen über 60 steigt
Zwar arbeiten immer mehr Menschen über 60. Trotzdem ist die Zahl der Erwerbslosen in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen seit 2009 deutlich gestiegen: von rund 92.000 auf rund 269.000 im Jahr 2021. Dazu kommen 120.000 Erwerbslose, die 65 Jahre oder älter waren. Dieser Trend würde sich durch ein höheres Rentenalter weiter verschärfen – mit üblen finanziellen Folgen für die Betroffenen.

Mehrheit sagt „nein“ zu höherem Rentenalter
Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland lehnt eine weitere Anhebung des Rentenalters ab. 86 Prozent der Befragten sprechen sich in der Kantar-Umfrage dagegen aus. Was die Menschen stattdessen wollen: Realistische Altersgrenzen. Eine gesetzliche Rente, die den Lebensstandard im Alter annähernd sichert. Und eine Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen – auch Beamte, Selbstständige oder Freiberufler.

„Die Kolleginnen und Kollegen wünschen sich dringend von der Politik eine Rückkehr zur Rente mit 65 und sogar zusätzliche Ausstiegsmöglichkeiten in den Ruhestand, wie zum Beispiel die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren“, berichtet Iris Billich. „Wer 45 Beitragsjahre aufzuweisen hat, sollte ohne Abschläge in die Rente gehen können.

Die IG Metall hat ein ausführliches Konzept vorgelegt, mit dem die gesetzliche Rente gestärkt und zukunftsfest gemacht werden kann.

 

Von: kk

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