Tarifeinheit: Das Mehrheitsprinzip ist der richtige Weg

06.01.2015 | Überschneiden sich in einem Betrieb mehrere Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften, soll künftig nur jener der Mehrheitsgewerkschaft gelten. So sieht es der Kabinettsbeschluss zum Tarifeinheitsgesetz vor. Für die IG Metall ein richtiger Schritt hin zu einer solidarischen Tarifpolitik.

"Mit der Verankerung des Mehrheitsprinzips ist der richtige Weg beschritten, um die Tarifeinheit zu sichern. Damit bestimmen die im Betrieb Beschäftigten mit ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, welcher Tarifvertrag gilt", begrüßt Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, den Kabinettsbeschluss über ein Gesetz zur Tarifeinheit. Demnach soll bei sich überschneidenden Tarifverträgen künftig nur der jener Gewerkschaft gelten, der die meisten Mitglieder im Betrieb angehören.

Ein Betrieb - eine Gewerkschaft - ein Tarifvertrag

Das Mehrheitsprinzip stelle sicher, dass die Interessen aller Beschäftigten Vorrang vor den Partikularinteressen durchsetzungsstarker Eliten haben, so Wetzel. Das sei im Sinne einer solidarischen Tarifpolitik nach dem Grundsatz "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft - ein Tarifvertrag" zu begrüßen. Die IG Metall begreife Tarifautonomie als das Eintreten aller Beschäftigtengruppen - der "Starken" wie der "Schwachen" - füreinander. Nur so ließen sich gute Ergebnisse für die gesamte Belegschaft erzielen. Gewerkschaftskonkurrenz hingegen spalte Belegschaften und schwäche ihre Durchsetzungsfähigkeit.

 

Keine Einschränkung des Streikrechts

Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall betont, dass es nicht zuletzt auf Drängen der IG Metall gelungen sei, das Arbeitskampfrecht vom Gesetz unberührt zu lassen:  "Wir haben massiv dafür geworben, dass alle Bezüge zum Streikrecht aus dem Entwurf entfernt werden. Dem ist der Gesetzgeber gefolgt." Es sei gut, dass die Friedenspflicht eines vereinbarten Tarifvertrages nicht automatisch für andere Gewerkschaften gelte, so Hofmann. "Wo mehrere Tarifverträge vorliegen, müssen diese auch grundsätzlich erstreikbar sein", so Hofmann.

In welchen Fällen soll das Gesetz greifen?

Kollidieren in einem Betrieb für eine Beschäftigtengruppe mehrere, nicht inhaltsgleiche Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften, soll nach dem Gesetz nur noch der Vertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelten. So soll verhindert werden, dass Beschäftigte mit der gleichen Tätigkeit je nach Gewerkschaftszugehörigkeit unterschiedliche tarifvertragliche Ansprüche haben was zum Beispiel Entgelt, Arbeitszeit oder Urlaub angeht.
Tarifeinheit soll erst und nur dann gesetzlich hergestellt werden, wenn im Betrieb zwei Tarifverträge kollidieren - also ihre Geltungsbereiche und Regelungsinhalte sich überschneiden oder inhaltlich widersprechen. Erst dann werden die gewerkschaftlichen Mehrheiten im Betrieb relevant, um zu ermitteln, welcher Tarifvertrag gelten soll. Das bedeutet: Jede Gewerkschaft kann den Abschluss eines Tarifvertrags anstreben und im Zuge einer Tarifbewegung um die Mehrheit der Beschäftigten werben.

Wann greift das Gesetz nicht?

Die geplante gesetzliche Regelung der Tarifeinheit soll nicht zum Einsatz kommen, wenn

  • in einem Betrieb mehrere inhaltsgleiche Tarifverträge nebeneinander existieren. Das ist beispielsweise bei Tarifgemeinschaften wie der des DGB zur Leiharbeit der Fall. Für die Tarifverhandlungen haben sich hier auf Arbeitnehmerseite die acht DGB-Gewerkschaften zusammengeschlossen. Der ausgehandelte Vertrag gilt für die Mitglieder aller Beteiligten.
  • die unterschiedlichen Tarifverträge im Betrieb jeweils nur für verschiedene Beschäftigtengruppen gelten, wie zum Beispiel bei der Lufthansa, wo die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) und die Vereinigung Cockpit (VC) unterschiedliche Beschäftigtengruppen vertreten.
  • die verschiedenen Gewerkschaften im Betrieb ein- oder gegenseitig die Inhalte ihrer Tarifverträge übernehmen (Anschlusstarifvertrag) wie etwa Verdi und der Marburger Bund, wenn es um die Klinikärzte geht.

Das Gesetz ermögliche ausdrücklich ein Fortbestehen von Gewerkschaftspluralität, so Hofmann. So nennt man es, wenn in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften aktiv sind.

Kritik aufgenommen

Der vorliegende Kabinettsbeschluss zur Tarifeinheit berücksichtigt die Kritik der IG Metall am vor einigen Wochen vorgelegten Referentenentwurf. So wird die im ursprünglichen Entwurf enthaltene Möglichkeit, über Tarifverträge nach § 3 BetrVG die Ermittlung der Mehrheit auf mehrere Betriebe zu erstrecken, eingeschränkt, um Manipulationsmöglichkeiten zu reduzieren. Außerdem wurde das Recht der  Minderheitsgewerkschaft, den Mehrheitstarifvertrag inhaltsgleich zu übernehmen dahingehend verändert, dass dies auf die Regelungsgegenstände begrenzt bleibt, die ihr verdrängter Tarifvertrag auch tatsächlich enthält. Sie kommt somit nicht automatisch in den Genuss sämtlicher Leistungen des Mehrheitstarifvertrages, Differenzierungen bleiben möglich.

 

Nachbesserung notwendig

Jörg Hofmann kritisiert allerdings, dass im Gesetz noch nicht ausreichend beschrieben sei, mit welchem Verfahren im Konfliktfall die entsprechende gewerkschaftliche Mehrheit unter den Beschäftigten festgestellt würde. "Dies ist keine Petitesse und darf deshalb nicht der Fantasie der Beteiligten überlassen bleiben", fordert Hofmann. Da müsse im parlamentarischen Verfahren nachgebessert werden.

 

Warum ein Gesetz zur Tarifeinheit?

Erforderlich wurde eine gesetzliche Neuregelung, weil im Jahr 2010 das Bundesarbeitsgericht das bis dahin geltende Rechtsprinzip "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" aufgehoben hat. Der Grundsatz der Tarifeinheit hatte damit nicht mehr automatisch Vorrang vor der Tarifpluralität (mehrere gültige Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften zum gleichen Sachverhalt für gleiche Beschäftigtengruppen).

Von: igm

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