02.10.2020 | Die Beschäftigten im IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen verfügen über ein weites Erfahrungsspektrum. Als stolze Facharbeiterbelegschaften haben sie sich vor 30 Jahren für mehr Freiheitsrechte, mehr wirtschaftliche Substanz und Lebensqualität eingesetzt. Das Aufbegehren war erfolgreich, alle damit verbundenen Folgen kamen jedoch sehr schnell.
Als einschneidendste Erfahrung berichten viele das Erleben einer drastischen Deindustrialisierungswelle. Von einem Tag auf den anderen haben sich Bedingungen und Erfordernisse zum Teil radikal verändert. Das steckt manchen noch in den Knochen, vielen im heutigen kollektiven Erfahrungsbewusstsein.
„In den vergangenen 30 Jahren haben die Beschäftigten in Berlin, Brandenburg und Sachsen aber an einem festgehalten: wir haben hier starke Facharbeiterbelegschaften mit einem guten Ausbildungsniveau und einer Kraft, die sich dem Wandel offen stellt“, sagt die IG Metall Bezirksleiterin Birgit Dietze.
Diese Kraft wird gebraucht, denn wir stehen heute vor neuen, anderen Herausforderungen, vor allem denen von Digitalisierung und Dekarbonisierung. Der Zusammenbruch nicht nur des ostdeutschen, sondern aller Oststaaten hat zudem ein neues geopolitisches Wirtschaftskraftgefüge hervorgebracht. Auch dies hat Sicherheiten verändert und zwar in Ost und in West. Unternehmen versuchen seither und aktuell, in sogenannte „Low-Cost-Countries“ Produktion zu verlagern.
In Berlin, Brandenburg und Sachsen sind hochmoderne und hochproduktive Fabriken entstanden, die dem Westen in nichts nachstehen. Das gilt zum Beispiel in Leipzig, Zwickau, Chemnitz und Dresden für die modernen und hochproduktiven Autowerke. Das VW-Werk in Zwickau ist sogar Vorreiter im Bereich der Elektromobilität.
Im Kern ist die industrielle Landschaft gleichwohl vom Mittelstand geprägt. Aus der Historie heraus verfügt die ostdeutsche Industrie dabei nicht über Konzernzentralen und weniger über die strategischen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Gleichwohl ist eine sehr gute Hochschullandschaft vorhanden und insbesondere Berlin zeichnet sich als Gründungshauptstadt durch eine besonders hohe Ansiedlungsdichte im Bereich der Start Ups aus. Diese Potentiale gilt es zusammen mit den drei Landesregierungen gut zu nutzen.
Aber auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland noch immer nicht erreicht. Dabei sind auch die Lebensverhältnisse im Westen nicht einheitlich. Im Schnitt betrachtet beziehen die Menschen in Ostdeutschland jedoch nach wie vor durchschnittlich niedrigere Löhne und Renten, arbeiten deutlich seltener in tarifgebundenen und vor allem flächentarifgebundenen Unternehmen und haben – wie in der Metall- und Elektroindustrie – auch drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit noch immer längere Arbeitszeiten.
„Vor allem die Angleichung der Arbeitszeit wird uns als wichtiges Thema weiter begleiten“, sagt Birgit Dietze, Bezirksleiterin der IG Metall in Berlin, Brandenburg und Sachsen. „Es ist nicht verständlich und auch nicht gerecht, dass die Kolleginnen und Kollegen immer noch 38 statt der im Westen üblichen 35 Stunden pro Woche arbeiten. Denn das bedeutet entweder drei Stunden unbezahlt länger zu arbeiten oder weniger im Stundensatz zu bekommen – je nach Blickrichtung.“
Für Rückfragen: Andrea Weingart, 0151 29 23 11 82