Industrie in Ostdeutschland

Die ostdeutsche Industrie hat die Chance, Vorreiter in der Energiewende zu werden

28.11.2023 | In einem Gastbeitrag für den "Tagesspiegel" in Berlin hat Bezirksleiter Dirk Schulze die Vision der IG Metall für die Industrie in Ostdeutschland im 21. Jahrhundert präsentiert. Wir dokumentieren den Beitrag hier in einer längeren Fassung, die Dirk Schulze gemeinsam mit Robert Drewnicki vom Regionalen Transformationsnetzwerk für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie Berlin-Brandenburg (ReTraNetz BB) verfasst hat.

Damit Ostdeutschland auch im 21. Jahrhundert gute Arbeit in der Industrie zu bieten hat, muss es seine Chancen besser nutzen. Dafür setzt sich die IG Metall ein. (Bild: C.v.Polentz)

Von Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen, und Robert Drewnicki, Projektleiter ReTraNetz Berlin-Brandenburg

Antriebswende. Energiewende. Klimawende. Was viele noch recht allgemein unter dem Begriff Transformation diskutieren, stellt die Industrie bereits heute praktisch vor große Herausforderungen. Die größte Aufgabe wird dabei die CO2-neutrale Produktion sein. Denn nur so kann Deutschland wie beschlossen 2045 CO2-neutral werden. Hinzu kommen ein geringerer Ressourceneinsatz und der Aufbau einer wirklichen Kreislaufwirtschaft. Das ist nicht nur umweltpolitisch geboten, sondern zunehmend gesetzlich vorgegeben.

So wird etwa schon im nächsten Jahr für die Autoindustrie in der Herstellung von Batterien und deren Nutzung der CO2-Fußabdruck immer wichtiger aufgrund steigender verbindlicher Vorgaben für Recyclingquoten und den Einsatz wiederverwertbarer Materialien. Zulieferer müssen ebenfalls ihre CO2-Bilanz ausweisen. Neben dem Preis und der effizienten Technik bestimmt zunehmend die CO2-Bilanz über Auftragsvergaben. Aber auch Verbraucher*innen wollen nicht nur C02-neutral fahren, sie fragen zu Recht danach, wie das Auto hergestellt wurde und was am Ende unter anderem mit den Batterien passiert.

Die jüngsten Ansiedlungen von Auto-, Batterie- und Halbleiterherstellern in Ost-Deutschland zeigen auch, dass neben Fördergeldern und Subventionen die Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien ein immer wichtigerer Standortfaktor ist. In großen Teilen Ost-Deutschlands ist wie in Brandenburg die CO2-neutrale Energieversorgung hervorragend. Brandenburg könnte sich schon heute komplett aus Erneuerbaren Energien versorgen. Auch verfügt Ost-Deutschland über eine vielfältige Wissenschafts- und Forschungslandschaft, in der die Grundlagen für die Wirtschaft und Technologien von morgen gedacht werden.

Diese Faktoren machen unsere Region schon jetzt hoch attraktiv, was auch die Ansiedlung von Tesla in Grünheide belegt. Diese Chancen müssen weiter genutzt werden.

Als IG Metall arbeiten wir mit daran, zukünftige Wertschöpfungsketten CO2-neutral und regional zu betrachten. Mit Erneuerbarer Energie kann zukünftig in Schwedt grüner Wasserstoff hergestellt werden, der zur Herstellung grünen Stahls in Eisenhüttenstadt genutzt wird und grüne Bleche für die Autoindustrie liefert. So geht regionale Kreislaufwirtschaft mit kurzen Wegen auf der Höhe der Zeit mit modernster Technologie.

Dieses eine Beispiel zeigt, welches Potenzial in der Region für die Industrie der Zukunft liegt. In unserem IG Metall-Bezirk hat deswegen nach Berlin und Brandenburg auch Sachsen erkannt, wie wichtig zukünftig der dort bisher sträflich vernachlässigte Ausbau der Erneuerbaren Energien ist. Aber auch der Anschluss an das Wasserstoffnetz zum Beispiel der Region Leipzig mit seiner für Beschäftigung und Wohlstand wichtigen Autoindustrie wird eine zentrale Aufgabe sein. Um diese Potenziale weiter aufzubauen, braucht es für die energieintensiven Branchen wie Stahl einen zeitlich befristeten und an Bedingungen geknüpften Brückenstrompreis. Der Weg zur nachhaltigen Produktion ist abgesteckt – er darf nicht durch Schließung und Abwanderung wegen hoher Energiepreise gefährdet werden.

Nicht erst seit der jüngsten IAA ist klar, wie wichtig in der Antriebswende Batterien für die ganze Autoindustrie und deren CO2-neutrale Produktion sind: Batterien brauchen wir nicht nur beim Hochlauf der Elektromobilität. Ohne sie gibt es keine Speicherung von Erneuerbarer Energie, kein stabiles modernes Stromnetz und selbst in Privathaushalten und vor allem Unternehmen braucht es Batteriespeicher. Für uns zeigen die Ansiedlungen in Guben (Batterieproduktion) und Schwarzheide (Batterie-Grundstoffe und Recycling), dass die Region für eine neues Batterie-Speicher und -Recycling Cluster hervorragend geeignet ist.  Wenn man noch die großen Halbleiteransiedlungen in Dresden und Magdeburg betrachtet, wird schnell klar, dass die wichtigsten Produkte für die Automobilindustrie aus Ost-Deutschland kommen werden. Hinzu kommt: Wir haben viele schlaue Köpfe und motivierte Fachkräfte in der Region.

Die Chancen liegen auf der Hand. Was jedoch oftmals (noch) fehlt, ist der unternehmerische und politische Wille, diese Trümpfe gezielt auszuspielen.

Ausgangspunkt für eine ostdeutsche industrielle Erfolgsgeschichte ist dabei die erwähnte CO2-neutrale Produktion durch Erneuerbare Energien und darauf abgestimmte Kreislaufwirtschaft der kurzen Wege. So wird unsere Wirtschaft im Rahmen des notwendigen De-Risking auch widerstandsfähiger gegen kommende Krisen. Genau deshalb haben wir als Partner in dem seit einem Jahr arbeitenden Regionalen Transformationsnetzwerk für die Fahrzeug- und Zuliefererindustrie Berlin-Brandenburg (ReTraNetz-BB) früh die Umsetzung der CO2-neutralen Produktion und des Aufbaus einer Batterie-Clusters (B3) über die Herstellung, Nachnutzung (Second Life) und das Recycling in den Mittelpunkt gestellt. Auch bei den beiden Schwesternetzwerken MoLeWa in Leipzig und ITAS in Südwestsachsen spielen diese Themen aus den genannten Gründen eine Rolle.

Als wichtiger industriepolitischer Akteur in der Region wollen wir als IG Metall diesen Weg mit den Unternehmen und Landesregierungen in Berlin, Brandenburg und Sachsen gemeinsam gehen und bestehende Gespräche als IG Metall und Transformationsnetzwerke mit den Fachministerien der Länder weiter vertiefen, um konkrete Absprachen und Projekte mit auf den Weg zu bringen.

Fünf Themen sollten dabei zunächst im Vordergrund stehen:

  1. Stärken stärken: Die Landesregierungen müssen ihre vorhandenen Industriepotenziale prüfen und in den jeweiligen Regionen stärken. Doppelstrukturen und Ansiedlungskonkurrenzen nutzen am Ende niemanden bzw. den anderen Konkurrenzregionen. Durch eine gemeinsame Industriepolitik können Berlin-Brandenburg-Sachsen hingegen zum Ausgangspunkt einer ost-deutschen (Re)Industrialisierung in der Transformation werden.
  2. Gezielt fördern: Dazu bedarf es einer bedachten Förderpolitik der Länder, die Förderlücken erkennt und schließt. Statt Verbote von aufeinander aufsetzenden Förderungen des Bundes und Landes sollten diese politisch ausgeräumt und Förderungen optimal aufeinander abgestimmt werden. Hinzu kommt eine intelligente Verschränkung mit Förderungen der Bundesagentur für Arbeit in den Bereichen Weiterbildung und Qualifizierung. Förderhöhen müssen sich dabei gerade in Ost-Deutschland eher an den Betriebsgrößen vor Ort als den Konzernzugehörigkeiten orientieren. Weiterbildungsmentoren und Transformationslotsen müssen in möglichst vielen Betrieben Ansprechpartner*innen der Beschäftigten in der Transformation werden.
  3. Den FairWandel unterstützen: Für uns als Gewerkschaft bleibt klar. Ganz gleich, ob es um einen Brückenstrompreis oder Förderung zur Ansiedlung von Batterieherstellern geht. Es kann nur gefördert werden, wer sich tariftreu verhält und wer die großen Potenziale der Mitbestimmung in der Transformation nutzt. Mitnahmeeffekte müssen ausgeschlossen werden.
  4. Gemeinsame Entscheidungsstrukturen: Für eine künftige Industriepolitik der drei Bundesländer sind Gremien nötig, in denen zusammen mit den Sozialpartnern strukturelle Entscheidungen vorbereitet und getroffen und dann in die Unternehmen kommuniziert werden. Die Transformation braucht einen langen Atem, keine PR-Strohfeuer und Einzelentscheidungen.
  5. Schneller genehmigen: Um die CO2-Neutralität in der Produktion konkret zu erreichen, braucht es schnellere Genehmigungsverfahren für Anlagen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Es braucht endlich einen Weg, um den grünen Strom besser und billiger vor Ort direkt nutzen zu können. So kann er mit um die 5 ct/kwh zum echten Industriestrompreis werden - ohne Subventionen. Genau dafür sollten sich alle ostdeutschen Bundesländer gemeinsam beim Bund einsetzen.

Als IG Metall stärken wir über die Transformationsnetzwerke die Region im vollen Bewusstsein, dass nur dann auch in der Region eine zukunftsfähige Industrie und gute Arbeit entstehen kann. Wir fordern unseren Sozialpartner, die Politik und die Wirtschaft auf, dabei mitzutun. Heute geht es darum, die Chancen zu nutzen und Vorreiter einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Industrie für morgen werden zu können.

Hier der Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Von: ms

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