Enrico, Du kandidierst wieder zum Vertrauensmann. Warum?
Enrico: Ich war schon immer gerne aktiv, will mich einbringen und mich für andere stark machen, die schwächer sind als ich. Insbesondere in den letzten Jahren, in denen sich eine Krise an die andere gereiht hat, ist mir aber auch klar geworden: Entweder Du bringst Dich aktiv ein und veränderst mit, oder Du bleibst passiv und wirst verändert. Wer aktiv ist, hat sein Schicksal also ein Stück weit selbst in der Hand und kann dafür sorgen, dass es auch für die Kolleginnen und Kollegen gerechter zugeht.

Du bist mit 29 Jahren noch relativ jung, als Gewerkschafter aber schon ein alter Hase …
Enrico: … stimmt. Ich bin schon 2011 in die IG Metall eingetreten, wurde 2014 Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Damals machte der Begriff des „Wirtschaftsflüchtlings“ die Runde. Bei Siemens hatten wir Integrationsklassen, Klassen mit geflüchteten Kolleginnen und Kollegen, und auch Auszubildende aus anderen Ländergesellschaften. Insofern fand ich den Begriff Wirtschaftsflüchtlinge ziemlich unpassend. Was besagt das schon? Letztlich sind wir doch irgendwie alle Wirtschaftsflüchtlinge. Wir machen uns schließlich für bessere Arbeitsbedingungen stark, egal woher wir kommen. Das war mir ein Anliegen, dafür einzutreten und dies auch öffentlich zu zeigen.

Bessere Arbeitsbedingungen sind ein gutes Stichwort. Welche Projekte verfolgt Ihr als Vertrauensleute bei Siemens Energy?
Enrico: Wir sind im Dauerabwehrkampf, was Stellenabbau betrifft. Nur dank Betriebsrat und einer aktiven IG Metall war es möglich, 60 Prozent der geplanten Verlagerung zu halten. Vorrangiges Ziel unserer Arbeit ist es jetzt, weiterhin gute Arbeitsbedingungen für den Standort durchzusetzen und die Zukunft zu gestalten. Dazu gehört es auch, dass wir uns in Zeiten des Fachkräftemangels Gedanken darüber machen, wie Fachkräfte gehalten oder wiedergewonnen werden können, die durch die Firmenpolitik vergrault werden oder wurden. Und natürlich bereiten wir uns auch auf die Tarifrunde 2024 in der Metall- und Elektroindustrie vor.

Wie unterstützt Dich Deine IG Metall dabei?
Enrico: Die IG Metall verfügt über ein wahnsinnig hohes Know-how und beste Vernetzungsmöglichkeiten. Sie bietet zum Beispiel Netzwerke wie das ReTraNetz oder KombiH. Die beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wie gute Arbeitsplätze in der Hauptstadtregion nach 2030 entstehen können. Sie liefern entscheidende und zukunftsweisende Impulse, wie Transformation gelingen kann.

Warum brauchen wir aktive Vertrauensleute in den Betrieben?
Enrico: Abseits von gewerkschaftlichen Strukturen und Arbeitskreisen sind Vertrauensleute ja auch ganz normale Beschäftigte, die direkt betroffen sind von Entscheidungen und Veränderungen. Sie haben selbst ein gutes Gespür dafür, ob etwas zumutbar ist. Und sie sind außerdem in ihren Bereichen ganz nah dran an den Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie ja Tag für Tag zusammenarbeiten. Das führt dazu, dass sie im Betrieb ein gutes Stimmungsbild mitbekommen und dieses transportieren können. Denn Vertrauensleute mit einer soliden gewerkschaftlichen Ausbildung sind Lotsen im Betrieb. Gemeinsam mit dem Betriebsrat und den Hauptamtlichen der IG Metall bilden sie ein starkes Team, wenn es zum Beispiel darum geht, Weiterbildungen der Kolleginnen und Kollegen für die Transformation anzusprechen, zu planen und mit der Belegschaft durchzuziehen. Und natürlich kommt den Vertrauensleuten auch eine wichtige Rolle in den Tarifrunden zu, wenn es darum geht, die Belegschaft über Forderungen und Verhandlungsstände zu informieren und sie zu mobilisieren, dafür einzustehen und vors Tor zu gehen.

Welche Eigenschaften sollten Vertrauensleute möglichst für ihre Arbeit mitbringen?
Enrico: Offenheit, Fleiß, Courage, Mut und das Herz am rechten Fleck.

Das bedeutet?
Enrico: Das sollte für Fairness und Gerechtigkeit schlagen, damit Solidarität gewinnt. 

Zur Person:
Enrico Wiesner (29) hat seine Ausbildung als Industriemechaniker im Siemens Gasturbinenwerk absolviert. Inzwischen arbeitet er seit März als Qualitätstechniker für Batterien, Schwerpunkt Zelle bei Siemens Energy in Berlin. Seit 2011 ist er IG Metall-Mitglied, er war Jugend- und Auszubildendenvertreter, hat sich viele Jahre im Ortsjugendausschuss der IG Metall Berlin engagiert und ist seit neun Jahren Vertrauensmann.