18 Tage im Mai: Der große Arbeitskampf 1993

„Auf einmal die Kraft der arbeitenden Menschen gespürt“

02.05.2023 | Zum letzten Mal hatten die Chemnitzer Metaller*innen in der Weimarer Republik gestreikt. Heute am 2. Mai vor 30 Jahren aber traten sie in den Ausstand. In einem erbittert geführten Arbeitskampf verteidigten sie den Stufenplan zu gleichen Löhnen wie im Westen. Als erster Betrieb stand die Chemnitzer Spinnereimaschinenbau GmbH still. Der damalige Betriebsratsvorsitzende Klaus Dieter Ernst Trompke erinnert sich an „18 Tage im Mai“.

Klaus Dieter Trompke heute mit der IG Metall-Fahne von damals. (Bilder: Igor Pastierovic)

Klaus Dieter Ernst, kurz KDE genannt, als Tarifkämpfer mit der Säge in der Hand.

Die Streikenden 1993 vorm Werkstor in Chemnitz.

Früh um 4.00 Uhr schlossen sie das Werktor mit einer Kette.

"Wir hatten nichts vorbereitet, gar nicht" - und so wurde improvisiert in dem starken Arbeitskampf.

Lieber Klaus Dieter Ernst, der 2. Mai 1993 ist ein wichtiges Datum für die IG Metall im Osten. Wie hast Du den Tag in Erinnerung?

Früh um 4.00 Uhr schlossen wir unser Werkstor mit einer Kette. Und der Streik begann. Wir waren der erste Betrieb in Chemnitz, der in den Ausstand ging. Der Arbeitskampf ging bis zum 19. Mai.

Die Belegschaft der Chemnitzer Spinnmaschinenbau GmbH war beim Arbeitskampf ganz vorne dabei. Wie kam es dazu?

Wir hatten einen Großauftrag bekommen. Also war der Streik bei uns spürbar.

Es ging um die Angleichung der Löhne im Osten an das Westniveau. Die war schon vereinbart in einem Stufentarifvertrag aus dem Jahr 1991. Doch dann machten die Arbeitgeber einen Rückzieher: Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte kündigten sie einen laufenden Tarifvertrag. Wie kam das bei den Kolleg*innen an?

Das war ein Schock, ein Schlag ins Gesicht. Das war ein ganz schlimmer Tarifbruch. Es ging ja nicht allein um die Tarife, sondern auch um die soziale Absicherung, um die Rente, um Ausbildungsvergütungen und vieles mehr.

Es kam noch schlimmer. In einer tariflichen Schlichtung handelte der damalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf mit den sächsischen Arbeitgebern einen Kompromiss aus. Aber auch den hebelte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall aus. Was löste dieses Verhalten bei Euch im Betrieb aus?

Wir waren entschlossener denn je. Wir wurden auch sehr bestärkt durch die Chemnitzer Bevölkerung. Viele haben uns gesagt: „Haltet durch!“ Beim Streik haben wir eine große Solidarität erfahren. Die Bäcker kamen früh mit Brötchen und Kuchen. Die Fleischer brachten Wurst vorbei. Das war eine starke, starke Solidarität.

Starke Solidarität – andererseits fand der Arbeitskampf unter schwierigen Bedingungen statt: Die Wirtschaftslage war schlecht, die Angst vorm Arbeitsplatzabbau ging um. Woraus habt Ihr Eure Kraft gezogen?

Es blieb uns keine Wahl. Mit dem später gekündigten Tarifvertrag hatten wir schon die Einstufung vorgenommen, die uns nach und nach auf das bayerische Lohnniveau bringen sollten. Da haben die Kollegen das erste Mal gespürt, was Metall-Arbeit wert ist. Das wollte niemand wieder aufgeben.

Am Ende gab es einen neuen Stufenplan für die Lohnangleichung - allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Wie bewertest Du aus heutiger Sicht den Streik?

Der Streik war ein großer Erfolg. Das war der erste Arbeitskampf in Chemnitz seit 1928 gewesen. Und dann sind wir als erster Betrieb in den Streik getreten, ohne Erfahrung.  An einem Donnerstag-Abend sagt Sieghard Bender, damals Erster Bevollmächtigter der IG Metall, zu mir: Du stellst jetzt eine Streikleitung auf. Das war drei Tage vor Streikbeginn.

Und davor war noch der 1. Mai. Was war da los in Chemnitz?

Sieghard Bender hat eine flammende Rede gehalten und dazu aufgerufen zusammen zu stehen. Der Rathaus-Platz in Chemnitz war voll. Am Nachmittag des 1. Mai haben wir dann besprochen, wie der Streik am nächsten Tag losgehen soll. Wir hatten nichts vorbereitet, gar nichts.

Dennoch stand der Betrieb am nächsten Morgen um 4.00 Uhr still. Wie habt Ihr das geschafft?

Wir haben alle zusammengestanden, die Betriebsratsvorsitzenden und die Belegschaften der Unternehmen hier. Wir wussten: Der Arbeitskampf wird hart. Der Geschäftsführer hat Streikbrecher organisiert. Wir sollten mit einer Klage eingeschüchtert werden. Das war eine ganz harte Auseinandersetzung. Aber wir haben gestanden, auch mit Unterstützung von Kollegen und Kolleginnen aus Nürnberg und Augsburg.

Ich möchte Dir gerne noch zu einem anderen tollen Jubiläum gratulieren: 60 Jahre bist Du Gewerkschaftsmitglied. Herzlichen Glückwunsch dazu! Was hat Dich zur Gewerkschaft geführt?

Als Lehrling bin ich in einen Textil- und Bekleidungsbetrieb eingetreten. Das war mein Einstieg. Und später bin ich dann im wiedervereinten Deutschland zur starken IG Metall gekommen.

Was bedeutet die IG Metall für Dich?

In dem Arbeitskampf 1993 habe ich auf einmal gespürt, welche Kraft die arbeitenden Menschen durch die IG Metall bekommen. Das Zusammenstehen, diese Solidarität – das war ein so tolles Erlebnis für mich, wie es nur in der Gewerkschaft möglich ist.

Von: Interview: Markus Sievers

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